Oskar Superstar

Wahlauftakt in Hessen: Lafontaine geißelt Außen-, Innen und Kommunalpolitik der Neoliberalen. Das Linke-Parteivolk dankt mit Standing Ovations

Das Casino der früheren Frankfurter Stadtwerke ist bis auf den letzten Platz gefüllt, viele Menschen müssen stehen. Geduldig erträgt das Publikum die eher amateurhaft vorgetragenen Reden diverser Linke-Stadtratskandidaten. Dann kommt der Top Act: Begleitet von schrammeliger Rockmusik aus der Konserve marschiert Oskar Lafontaine zur Bühne. Der Kommunalwahlkampf ist eröffnet.

Die Musik paßt zur Rede. Mit scharfer Rhetorik geißelt der Linke-Frontmann ohne Parteifunktion die Politik der Neoliberalen. Er beginnt mit den Hartz-IV-Gesprächen von SPD, Grünen, Union und FDP: »Da sitzen diejenigen zusammen, die das alles verbrochen haben und streiten darüber, wer der sozialste ist«. Da werde um eine Erhöhung der Regelsätze um fünf oder zehn Euro gefeilscht, während dieselben Parteien »Hunderte Milliarden verpulvert haben, um das Debakel der Banken einigermaßen aufzufangen«. Die Höhe des Regelsatzes ist für Lafontaine ohnehin nicht entscheidend: »Das Kernproblem ist die sogenannte Zumutbarkeitsklausel, – ein Mechanismus, die Löhne überall nach unten zu drücken.«

Nicht unerwähnt bleiben kann an diesem Abend – Diktator Hosni Mubarak ist vor wenigen Stunden zurückgetreten – die demokratische Massenbewegung in Ägypten, mit der sich Die Linke solidarisch erklärt. Zugleich kritisiert Lafontaine die jahrelange Unterstützung der westlichen Regierungen inklusive der deutschen für das Regime. »Wenn Diktatoren in Saudi-Arabien, Ägypten und anderswo den ökonomischen Interessen des Kapitalismus dienen, sind sie hochwillkommen, da spielt Demokratie keine Rolle.« Überhaupt Demokratie: »Demokratie ist eine Gesellschaft, in der sich die Interessen der Mehrheit durchsetzen«, definiert Lafontaine. Wenn hierzulande die Löhne und Renten stagnierten oder zurückgingen, sei das aber eben nicht der Fall. »Deshalb brauchen wir eine demokratische Erneuerung – Die Linke ist eine demokratische Erneuerungsbewegung.«

An dieser Stelle schlägt der Saarländer den Bogen zur Kommunalpolitik. Der Neoliberalismus habe durch seine Umverteilungspolitik dafür gesorgt, daß in den Städten und Gemeinden immer weniger entschieden werden könne. Hilflose Kommunalpolitiker hätten mit der Kürzung öffentlicher Leistungen und Privatisierungen reagiert. Daß diese Politik »komplett gescheitert« sei, zeige sich auch am Bankensektor, wo privates Profitstreben einen desaströsen Crash ausgelöst habe. Die Linke stehe für eine demokratische Kontrolle des Bankenwesens – »das ist der Schlüssel zur Gesundung der Wirtschaft«, betont Lafontaine.

Immer wieder kehrt der gut aufgelegte Politiker zu seinem Thema zurück: der Demokratie. Daß Gesetze »auf Bestellung der Wirtschaft gemacht« würden, sei ein Zeichen für die »Deformation« der bundesdeutschen Demokratie. »Wir wollen Spenden an Parteien durch Unternehmen und Banken verbieten, weil wir keine gekaufte Politik wollen«, stellt er klar. Den Kandidaten der hessischen Linkspartei, die bei den Kommunalwahlen am 27. März die Zahl ihrer Mandate auf 300 verdoppeln will, schreibt der Saarländer ins Stammbuch: »Entscheidend ist die Glaubwürdigkeit. Das heißt, daß wir nach der Wahl so handeln, wie wir es vorher erklärt haben.«

Als »Ausgeburt des Neoliberalismus« geißelte Lafontaine die von CDU und FDP gemeinsam mit SPD und Grünen für Hessen beschlossene Schuldenbremse. Über deren Aufnahme in die Landesverfassung wird ebenfalls am Tag der Kommunalwahl abgestimmt. Es sei »peinlich«, daß die Sozialdemokraten dieses »schwachsinnige« Instrument gegen die Kritik aus den Gewerkschaften verteidigten, so der ehemalige SPD-Chef. Den rund 700 versammelten Linke-Unterstützern taten diese Attacken auf den politischen Gegner sichtlich gut. Mit Standing Ovations verabschiedeten sie Lafontaine, der für Die Linke zumindest in Wahlkampfzeiten offenbar immer noch unersetzlich ist.

Daniel Behruzi, Frankfurt/Main
Junge Welt

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