Notwendig ist die Umstellung von der seit 1989 neu geschaffenen Konfrontation hin zur europäischen Friedensordnung

Flagge Ukraine

Flagge Ukraine

Quelle: NachDenkSeiten

Das heute journal vom 3. März sendete ein Interview mit Egon Bahr. Auf die Frage danach, ob es Krieg geben werde, beruhigte Bahr die Gemüter mit dem Hinweis, wir bräuchten das Gas der Russen und die Russen wollten unser Geld. – Bei aller Hochachtung für Egon Bahr: er verkennt die Eigendynamik der ideologischen Wiederaufrüstung und die Rolle des Propagandakrieges, er missachtet die Gefährlichkeit der stattgefundenen und stattfindenden Destabilisierung, also der ideologischen und mit Waffen und Geld betriebenen Wühlarbeit. Zum Beispiel: Wenn die rechtsradikalen Kräfte in der West-Ukraine und in Kiew ihre Kommandos in den Osten schicken und unter russischstämmigen Einwohnern ein Blutbad anrichten, dann könnte die von Egon Bahr beschworene „Interessengemeinschaft“ sehr schnell auseinander brechen. Auch die Eigendynamik des Wiederaufbaus des Feindbildes von den bösen Russen im Osten und den Guten im Westen kann im Westen die Bereitschaft zum Zündeln maßlos erhöhen. Albrecht Müller.

Auch müssen wir beobachten, dass Säbelrasseln wie auch tatsächliche militärische Interventionen von Regierungschefs und Präsidenten zur innenpolitischen Stabilisierung genutzt werden. Siehe USA und der Irakkrieg, oder Frankreich und Großbritannien mit ihrer Intervention in Libyen. Menschen- und Demokratiefreundlichkeit werden hier mit dem Bedarf zur Machterhaltung vermengt. Das sind einige der Risikofaktoren, die Egon Bahr bei seiner Einschätzung der Interessenlagen missachtet. Das bleibt kritisch anzumerken, obwohl sein Versuch zur Beruhigung angenehm ist.

Die Geschichte des Abbaus der Konfrontation und des Wiederaufbaus der Gegnerschaft seit 1989

Am zunächst erfolgreichen politischen Wirken Egon Bahrs und letztlich an seinem aktuell sichtbaren Scheitern lässt sich die fatale Entwicklung gut aufzeigen. Egon Bahr hatte als Mitarbeiter von Willy Brandt zusammen mit einigen anderen einen beachtlichen Anteil am Abbau der Konfrontation zwischen Ost und West in den sechziger, siebziger und achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts. Es gab einige Grundgedanken dieser Entspannungspolitik, an die erinnert werden muss, weil sie inzwischen sträflich vernachlässigt werden: Sich in die Lage des anderen versetzen, Gewaltverzicht, Wandel durch Annäherung, Abbau der ideologischen Konfrontation und der Feindbilder, in der Konsequenz: Abbau der Blöcke und militärische Abrüstung.

Das Jahr 1989 ist das Jahr der Krönung dieser Politik und zugleich der Beginn einer neuen ideologischen Aufrüstung. Die Mauer fiel, die führenden Kräfte der Sowjetunion und des Westens, Gorbatschow, Kanzler Kohl und all die anderen respektierten sich und verstanden sich. Der Warschauer Pakt wurde aufgelöst, so auch die Sowjetunion. Einzelne Völker gewannen ihre Selbstbestimmung. Das Ziel dieser Entwicklung wurde gerade von Egon Bahrs Partei, der SPD, eindeutiger als von anderen formuliert. Egon Bahr und ich als damaliger Sprecher der Parlamentarischen Linken der SPD- Bundestagsfraktion haben damals kurze Zeit vor dem Berliner Parteitag der SPD den einschlägigen Text für die Vorstandsvorlage zum Berliner Grundsatzprogramm der SPD, das am 20. Dezember 1989 beschlossen wurde, vorbereitet. Dort lauten die einschlägigen Passagen:

„Unser Ziel ist es, die Militärbündnisse durch eine europäische Friedensordnung abzulösen. Bis dahin findet die Bundesrepublik Deutschland das ihr erreichbare Maß an Sicherheit im atlantischen Bündnis, vorausgesetzt, sie kann ihre eigenen Sicherheitsinteressen dort einbringen und durchsetzen, auch ihr Interesse an gemeinsamer Sicherheit. Der Umbruch in Osteuropa verringert die militärische und erhöht die politische Bedeutung der Bündnisse und weist ihnen eine neue Funktion zu: Sie müssen, bei Wahrung der Stabilität, ihre Auflösung und den Übergang zu einer europäischen Friedensordnung organisieren. Dies eröffnet auch die Perspektive für das Ende der Stationierung amerikanischer und sowjetischer Streitkräfte außerhalb ihrer Territorien in Europa.“

Das sind Träume geblieben: Der Warschauer Pakt wurde aufgelöst, die NATO nicht. Im Gegenteil. Sie wurde bis an die Grenzen des heutigen Russland ausgedehnt. Die NATO wurde vom Verteidigungsbündnis zu einem Bündnis für militärische Interventionen außerhalb des Nato-Gebietes „umgefummelt“. Die Rüstungsinteressen und vermutlich auch die Interessen an wirtschaftlichen Ressourcen in verschiedenen Regionen der Welt waren stärker als unsere Träume vom Dezember 1989, so berechtigt diese Träume damals waren und sie bis heute sind.

Gleichzeitig – und das dürfte noch schlimmer sein als die Aufrechterhaltung des NATO-Bündnisses – ist das Ziel einer europäischen Friedensordnung missachtet und die ideologische Aufrüstung und die Pflege von Feindbildern neu betrieben worden.

Man muss sich die Entwicklung in Bildern vorstellen. Damals, 1989 und 1990 gab es von Respekt und sogar Herzlichkeit geprägte gemeinsame Auftritte von Helmut Kohl, Willy Brandt und Gorbatschow, von Bahr und Falin, dem früheren Botschafter der Sowjetunion in der Bundesrepublik und Verhandlungspartner während der Phase der Entspannungspolitik. Schon vorher, so am 8. Mai 1985 von Seiten des von der CDU gestellten Bundespräsident Richard von Weizsäcker, gab es grundsätzliche Bekenntnisse zur Versöhnung mit dem Osten, d.h. auch mit den Russen. Der Abbau des Feindbildes fand in Deutschland eine über die Reihen der Sozialdemokraten hinausgehende Basis. Die Friedensbewegung hatte einen wichtigen Beitrag für diese militärische und ideologische Abrüstung geleistet.

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